Matthäus Thoma

Auszug aus den Erläuterungen zu WRATT von Matthäus Thoma

...willkommen im Hause Harig zum Projekt des Jahres 2014 genannt WRATT, was nach Auskunft des Künstlers Matthäus Thoma die plattdeutsche Bezeichnung eines Kletterinsektes ist. Ob der Betrachter das Gebilde, das unseren Rasen geentert hat, dem Tierreich zuordnet, ist nun seiner Phantasie überlassen. Wenn mein Blick morgens aus dem Fenster geht oder über die Terrasse in den Garten fällt, gerät mein Gehirn auch nach einem Monat noch in Aufruhr, die neuronalen Verbindungen schlagen Alarm wegen des ungewohnten Anblicks. Ein Riesenheuschreck mit seinen filigranen Beinen oder ein Skorpion mit aufbäumendem Schwanz blockiert zunächst das Blickfeld, fasziniert dann durch die luftige Konstruktion der über- und nebeneinanderliegenden Latten und Leisten. Man möchte eindringen in dieses Skelett, hineinklettern in den Innenraum oder auch hoch hinauf auf das Gerüst, - die Verdichtung der Holzteile bietet aber Widerstand. Und unsere Gäste muss ich gleich enttäuschen: das Erklettern der Skulptur ist untersagt!

Heutzutage findet sich in allen Lebensbereichen die Kategorie der ‚meistgestellten Fragen‘. Bei meinen Projekten ist es immer diese: Wie und warum habe ich genau diese künstlerische Position eingeladen? Der Funke sprang schon über, als ich im Jahr 2003 erstmals Fotos mit Skulpturen von Matthäus Thoma in Händen hielt. Bärbel Tannert, damals für Kunstprojekte bei Eon-Energie in München zuständig, lockte mit Aussicht auf eine Realisierung auf der Piazza des Eon-Energie-Gebäudes. Zu erleben war die Installation erst im Jahr 2006, und mein geheimer Wunsch: ‘das will ich auch!‘ wuchs beim Umschreiten und Betrachten der ‚Einbruch‘ genannten Riesenskulptur. Einen Blick in den ausgelegten Katalog dazu empfehle ich dringend.

Mein Wunsch, solch ein aufregendes, anregendes Kunstwerk zeigen zu können, wuchs beim Durchklettern und Umgehen der Skulptur ‚be a good screw‘ von Matthäus Thoma im Park des Untergutes in Lenthe 2008. Beim Projekt ‚Neue Kunst in alten Gärten‘ wirkte eine Anhäufung von Latten, Sprossen und Leisten als grandioses Riesenspielzeug, wie von Geisterhand über den Weg geworfen, die Ausläufer schwappten in den Teich. Obwohl ich unterdessen Telefon- und Mailkontakt mit dem Künstler aufgenommen hatte, gelang kein Treffen. Erst die zufällige Begegnung an anderer Stelle brachte eine Verabredung in Hannover zustande und mich meinen Wünschen näher. Die endgültige Umsetzung des Projektes WRATT verdanke ich der genialen Idee des ‚upcycling‘. Die Methode entstammt der Modebranche, nicht mehr benötigte Kleidungsstücke werden aufgetrennt und zu neuen Modellen verarbeitet. Nach diesem Prinzip hat Matthäus Thoma nach der Demontage der Skulptur ELVIRA beim Projekt ‚Blickachsen 2013‘ in Bad Homburg/ bzw. Darmstadt eine Teilmenge der Elemente zu einem neuen Werk zusammengeführt.

So ist das WRATT im Garten von Haus Harig gelandet und ist nun zur Inspektion freigegeben, dazu gibt es ein Konvolut von anderen Spezies in der Halle, filigrane Konstruktionen wachsen aus der Wand und Collageartige Kompositionen aus überarbeiteten Fotos, auf Holz und Pappe montiert, präsentieren geheimnisvolle Erzählungen. Die Gäste werden gebeten, sich diese größtenteils noch unveröffentlichten Geschichten zu erobern...

Aus der Begrüßung am 16. März 2014
Gerlinde Harig

Vita
1961 geboren in München
1992–1998 Studium der Bildenden Kunst an der HdK Berlin bei Prof. Marwan
1998 Stipendium der Akademie der Künste Berlin
2000 Stipendium der Stiftung Kulturfonds
2000–2001 Lehrauftrag an der Hochschule der Künste Berlin
2001–2004 Gastdozentur an der Universität der Künste Berlin
2002 Arbeitsstipendium des Bonner Kunstfonds e.V.
2007 Kunstpreis Berlin, Förderungspreis
Arbeitsstipendium Konrad-Adenauer-Stiftung (Else Heiliger Fonds EHF)
2008 Lehrauftrag an der FH Oldenburg
Arbeitsstipendium des Berliner Senats
Artist-in-Residence, Porto Alegre, Brasilien
2009 Stipendium Bellevuesaal, Wiesbaden
2012 Arbeitsstipendium der Hans und Charlotte Krull-Stiftung

www.matthaeusthoma.de