Günter Christmann | haus harig | Sammlung und Projektraum

Günter Christmann
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Günter Christmann

 


r e c h e r c h e s 8

Photoarbeiten von Günter Christmann
Haus Harig, Hannover
19. Oktober bis Mitte Dezember 2017

Einführung zur Ausstellung von Elke Schipper

recherches 8  benennt der Künstler diese Ausstellung nach dem Titel einer der hier gezeigten Photoserien. Die 8, welche als Numerierung auf die Anzahl der bisherigen Präsentationen dieser Serie hinweist, würde als liegende Acht - also :
das Zeichen für Unendlichkeit - durchaus Sinn machen, wenn es um die Benennung der Ausstellungen des Photographen Günter Christmann geht. Zum einen angesichts des Umfangs seines bislang enstandenen  Oeuvres, dass seit gut 40 Jahren unbeirrbar wächst, sowie aufgrund der Einsicht in seine Arbeitsweise, die jede seiner Serien als work in progress angeht und grenzenlos vorantreibt. Entsprechend erschließen sich uns hier lediglich Ausschnitte weit ausladenderer Serien zu den jeweiligen Themen seiner photographischen Auseinandersetzung. Die Auswahl und Ordnung dieser ausschnitthaften Konstellationen wird sehr entschieden getroffen, nicht zuletzt auch als Reaktion auf die räumlichen Gegebenheiten.

Der Begriff recherches (zu übersetzen als Nachforschen, Suchen, Erkunden)  umreißt das Anliegen des Künstlers, Wirklichkeit nicht allein zu dokumentieren oder zu protokollieren. Sein Blick nimmt die uns alle umgebende Wirklichkeit  zum Impuls, Fragen zu stellen. Fragen nach dem Wesentlichen in ihr, nach den in ihr lesbaren Ereignissen und Verweisen und nach unserem eigenen Dasein und Wahrnehmen in dieser Wirklichkeit.

Die Arbeit H-18 im Außenbereich zwischen der Halle und dem Wohnhaus ist ein sinnfälliges Beispiel für dieses Erkunden. Die Wirklichkeit des eigenen Standorts wird zur Bildwirklichkeit. Die Photographie reduziert hier die Architektur des Ortes auf ihre wesentlichen Bestandteile aus Linien und Flächen, das freie Demontieren und Montieren in den Collagen  und die Vernetzung der Reihe durch gezeichnete Linien auf dem Glas kippen und verkanten den Raum zu einem dynamischen Kaleidoskop. Dabei greifen Teile der Photos außerhalb der Rahmung in den Ort selbst ein und irritieren damit die Illusion des Abbilds genauso, wie die  Spiegelung des Betrachters in der Verglasung der Arbeiten und im eingefügten schmalen Spiegelteil .

Der Künstler setzt durchgehend bewusst normales Glas bei allen Bildträgern ein und nötigt uns, das, was er entdeckt hat, ebenfalls zu suchen und in der Unausweichlich-keit unserer Selbswahrnehmung in diesen Spiegelungen niemals diesem - letzlich erkenntnistheoretischen - Punktum entkommen zu können, dass Bild und Blick untrennbar einander bedingen.
 
Impuls jeder Forschung ist wohl ein Affekt, das Betroffen-Sein vom Anblick einer Erscheinung, verbunden mit der Ahnung, dass mehr in ihr liegt als das, was sich zunächst offenbart. Eine - wenn man so will - Magie, die selbst aus dem Banalen und Verworfenen aufsteigen kann und nach Hingabe verlangt.
Einem - um es etwas bescheidener zu formulieren - besonderm Maß der Widmung an die verborgenen Schichten und Schönheiten unserer Wirklichkeit begegnen wir  in dem Feld aus Photographien mit dem Titel asphalt .

                                                                                                                            

 

Das, was wir alle so alltäglich mit Füßen treten und unter unseren Reifen aufreiben, wird hier - wie unter einem Mikroskop- entdeckt als Makrokosmos von subtilem Reichtum aus Farben und Texturen. Extreme Nahaufnahmen - in aller Schärfe -  erheben die Rauheit des Abriebs und Verblassens  im Wurf von Licht und Schatten zur kostbaren Patina. Abdrücke, Spachtelungen, Übermalungen und Vermalungen, versehentliche Kleckerei, angeschnittene Schriften, rätselhafte Zeichenraster lassen eine Spur aus Zeit und menschlichem  Wirken verfolgen in diesen ansonsten menschenleeren Bildern - letzteres weitgehend ein Charakteristikum der Photographie von Günter Christmann, bis auf wenige Ausnahmen -. Die aufgelösten Konturen dieser Gesten und Signale vibrieren, rauschen, atmen, gewinnen wesenhafte Züge.  Eine Erfahrung, zu der ich Alexander Kluge zitieren möchte, der in einem seiner Filme behauptet, dass, wenn man etwas lange genug ansehe, es beginne, selbst zurückzuschauen.

Die Desillusionierung oder Verfremdung - als eines der Hauptmerkmale im gesamten Werk Günter Christmanns - begegnet auf diesem asphalt-Feld  in eingefügten Materialbildern : Blech,  Folie, Dachpappe. Materialien, die zunächst nur die Oberflächenaesthetik des Abgebildeten zu vertärken scheinen und dabei doch ihre eigene Poesie offenbaren im sichtbar-Machen ihrer Beschaffenheit und ihrem kostbaren Potential zur Transformation.

Ein Photo, wie unkenntlich es auch sein mag, ist immer auch Abdruck von etwas, das wirklich da ist oder gewesen ist, wenn auch nur als ein Aspekt des Wirklichen und der Komplexität des Seins.

An dieser Stelle soll betont werden, dass die Photographien Günter Christmanns in besonderem Maße Authentizität besitzen. Er fühlt sich dem Moment der direkten unmittelbaren Begegnung von Blick und Welt verpflichtet. Keine seiner Aufnahmen wird nachträglich bearbeitet, alle werden 1:1 wiedergegeben.

Was geschieht nun im Blick der Serie recherches 8 auf all diese Segmente unseres alltäglichen Umfelds aus kaputten Sofas, Schildern, Grafittis, Motorradhauben und den Markierungen eines Fußballfeldes ? Dinge, die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben, die aus dem Kontext ihrer Wirklichkeit gelöst und in die Koordinaten eines neues bildnerischen System gespannt werden. Farben, Formen, Signale, ihre assoziative Aura, der Rhythmus ihrer Hängung, die Korrespondenzen in ihrer Anordnung entwickeln einen Code, der sie fern alles Realen als Gesamtheit  entschlüsseln läßt. Der Photograph als Seher nimmt sich hier die Freiheit, zunächst verborgene und rätselhafte Bedeutungszusammenhänge zu enthüllen.

Vilem Flusser schreibt (1983) in seiner Philosophie einer Photographie von dieser Freiheit des Photographen , unvorhergesehene Informationen zu erzeugen. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass er bei seiner These bereits die schöpferische Bilderzeugung vor Augen hatte, welche in diese Ausstellung mit der Serie mouvement als Zeugnis der konkreter Photographie des Künstlers vorgestellt wird, die sich in seinem aktuellen Schaffen gerade zu einem neuen Schwerpunkt entwickelt.

 

Das Photo begegnet hier  - im ursprünglichen Sinne von gr. photos/Licht und gr.graphein/ zeichnen - als wahrhaftes Lichtbild, das regelrechte Photogemälde
hervorbringt aus dem Zusammenwirken von avisiertem Objekt, bewegter Kamera und Licht.  Flusser schreibt von der Herausforderung, gegen den Apparat zu spielen. Günter Christmann selbst berichtet häufig davon, ihn zu überlisten.
Jedes dieser Photos besitzt Eigenschaften, die die Wirklichkeit verbirgt oder vielleicht garnicht besitzt und wirft so ganz grundsätzlich Fragen nach den Grenzen unseres Erkennens auf.


In diesem Sinne wirkt die Photokunst Günter Christmanns subversiv. Sie widmet sich dem Banalen, Verworfenen und Unkenntlichen und hinterläßt Fragen, eröffnet uns dabei aber zugleich die Freiheit, selber Sinn zu finden und zu stiften.

In allen bisherigen Ausstellungen des Künstlers war, bzw. ist als durchlaufende tragende Energie in den einzelnen Serien, in seinen Mappenwerken und gleichsam als Choreografie der jeweiligen gesamten Ausstellung eine Art Puls zu spüren. Vergleichbar einer filmischen Rhythmisierung der Bildfolgen, die nicht von ungefähr kommt, da der Künstler auch Autor zahlreicher Experimentalfilme ist.
Ich empfehle, sich den Photoarbeiten Günter Christmanns auch über diese organische Ebene der rhythmischen Bindungen zu nähern und überlasse sie damit jetzt sich selbst,  mit dem Angebot, für jedwedes Gespräch zur Verfügung zu stehen.

 



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